Dienstag, 18. Juli 2017 - 12:40 Uhr
"Nur Gequatsche!"
Wie Psychotherapie hilft - die Wirkfaktoren
Millionen Menschen weltweit leiden an psychischen Problemen. Psychotherapie soll helfen. Doch wie? Nur durch Reden? Im weitesten Sinne ja, ganz so einfach ist es dann aber doch nicht.
Fest steht, dass Psychotherapie wirkt - laut vieler Forschungsergebnisse ist sie einer medikamentösen Therapie sogar überlegen, vor allem langfristig. Einer der wesentlichsten Faktoren ist die sogenannte „Therapeutische Allianz“. Therapeut und Patient sind sich einig, dass sie zusammenarbeiten und ein gemeinsames therapeutisches Ziel verfolgen wollen. Dazu gehört natürlich, dass sich der Patient bei seinem Therapeuten wohlfühlt. Die emotionale Ebene ist auch jene, an der die Therapie ansetzt - selbst Sigmund Freud musste feststellen, dass die bloße Erkenntnis der Ursache eines Problems nicht nachhaltig wirkte - es ist das erneute emotionale Wieder- und Durchleben, das schlussendlich auch aus neurologischer Sicht Veränderungen herbeiführt. Auch die Frage, welche Methode wohl die beste sei, liefert aus heutiger Sicht für viele Therapeuten eine ernüchternde Antwort: alle wirken gleich gut. Nicht die Technik zählt, sondern „allgemeine Wirkfaktoren“, wie zum Beispiel die Persönlichkeit des Therapeuten. Besonders die „Korrigierende emotionale Erfahrung“ sei hier hervorzuheben. So war es für Frau S. eine neue Erfahrung in der Therapie, nicht immer nur stark sein zu müssen, wie sie es von ihrem Vater kannte. Herr N. verstand, dass er sich nicht für alle aufzuopfern brauche, sondern auch seine Grenzen aufzeigen durfte, ohne dafür entwertet zu werden. Der Patient lernt schlussendlich, anders zu fühlen, zu denken und zu handeln - ein Prozess, der auch im Gehirn neue „Pfade“ ausbildet und somit nach und nach ein befreites Leben ermöglicht.
Dienstag, 11. Juli 2017 - 23:00 Uhr
Sei nicht so hysterisch!
Was ist Hysterie und warum sie nicht nur Frauen betrifft
„Hysterische Kuh!“ oder „Die Frauen sind doch alle hysterisch“! Mal Hand aufs Herz, liebe männliche Leser. Wer von Ihnen hat sich das noch nie gedacht? Oder liebe weibliche Leserinnen: Wer hat das noch nie gehört? Hysterie hat längst den Einzug in unseren Schimpfwortfundus gefunden - doch was ist Hysterie genau? Noch in der Antike war man der Überzeugung, dass die Ursache dieser „frauenspezifischen“ Krankheit in der im Körper umherwandernden Gebärmutter zu finden sei. Gut, davon ist man glücklicherweise abgekommen. Sigmund Freud war es schlussendlich, der den Hysterikerinnen zum Durchbruch verhalf. Er war begeistert von den Demonstrationen des berühmten Arztes Charcot in Paris, der seinem staunenden Publikum demonstrierte, wie Patientinnen unter Hypnose ihre gelähmten Körperregionen wieder bewegen konnten. Wie konnte das sein? Freud widmete sich intensiv den „Studien über die Hysterie“ - den sogenannten Konversionsneurosen. Konversion bedeutet, dass ein seelischer Inhalt, der verdrängt werden muss, im Körper symbolhaft seinen Ausdruck findet. Mittlerweile ist die Hysterie längst aus dem psychiatrischen Wortschatz verschwunden. Die Symptome, die sich in übertriebener Emotionalität, Ich-Bezogenheit und dem Bedürfnis nach Aufmerksamkeit zeigen, werden heutzutage den histrionischen Störungen zugeschrieben. Auch der dissoziativen Störung, deren Ursache zumeist in einem verdrängten Trauma liegt, ist die damalige Hysterie zuzuordnen. Die Dissoziation, also die Abspaltung des Traumes aus der bewussten Wahrnehmung hilft, das Leben weiterhin meistern zu können. Fest steht in jedem Falle, dass „Hysterie“ nicht alleine Frauensache ist - im Gegenteil. Auch Männer neigen zu hysterischem Verhalten - man denke nur an Molieres berühmte Komödie „Der eingebildete Kranke“...
Dienstag, 27. Juni 2017 - 23:24 Uhr
"Nicht normal!"
Was ist verrückt, was normal? Kriterien zu Beurteilung
„Der ist ja gestört!“, oder: "Die tickt ja nicht richtig!". Geflügelte Phrasen im Sprachgebrauch. Wahrscheinlich hat man bei dem ein oder anderen sogar recht. Doch was ist eigentlich "normal"?
Sigmund Freud traf eine Einteilung in neurotisch und psychotisch - der Unterschied ist mit einem Witz leicht erklärt: Der Neurotiker baut Luftschlösser, der Psychotiker zieht dort ein. Durch dieses Bild wird gleichzeitig ein wichtiges Kriterium einer guten psychischen Struktur klar - die Realitätsprüfung. Diese ist die Fähigkeit des Ichs, zu beurteilen, ob das, was wir wahrnehmen, tatsächlich der Realität entspricht. In einer Psychose versagt die Realitätsprüfung komplett - hier verlieren sich Körpergrenzen, Raumdimensionen und klare Gedankengänge. Neurose hingegen ist der Überbegriff für psychische Störungen, bei denen der Betroffene unter verschiedensten Symptomen wie z.B. Ängsten oder Zwängen leidet, den Bezug zur Realität aber nicht verliert.
Otto Kernberg spricht von der Struktur der Psyche und einer Einteilung in neurotisch, Borderline- und psychotisch. Je schwächer die Struktur, desto schwerer die Störung. Auch hier wird unter anderem das Prinzip der Realitätsprüfung herangezogen. Die Borderline-Persönlichkeitsorganisation ist ein Grenzgang zwischen neurotisch und psychotisch. Hier funktioniert die Realitätsprüfung nur teilweise. Doch wie und wann entwickelt sich diese Struktur? Von Anbeginn.
Je früher in der Entwicklung etwas schief läuft, desto gravierender sind die Auswirkungen auf die Ausbildung der psychischen Funktionen. Sichere Bezugspersonen sind dabei wesentlich, denn ohne diese können wir kein gutes innerpsychisches Abbild von ihnen in uns schaffen - und das brauchen wir um gefestigt und "normal" durchs Leben zu gehen.
Montag, 19. Juni 2017 - 20:58 Uhr
"Psychopathen unter uns"
Wie wir sie erkennen
Psychopath - sofort lässt es einem den Schauer über den Rücken laufen - Faszination und Abscheu zugleich. Namen wie Jack Unterweger oder Anders Breivik tauchen auf - kaltblütige, seelenlose Menschen. Das personifizierte Böse. Und hier kommt die schlechte Nachricht: nur 50 Prozent davon werden durch Verbrechen auffällig. Die anderen 50 Prozent leben unter uns. Denn Psychopathen sind nicht immer so, wie man sie aus Kinofilmen und Zeitungsberichten kennt - im Gegenteil. Sie können sehr erfolgreich, charmant und verführerisch sein. Gebildet, eloquent und äußerst anziehend. Doch hinter der Fassade eines Psychopathen verbirgt sich Rücksichtlosigkeit, Größenwahn und vor allem eines: Kein Funken Empathie und Reuegefühl.
Psychopathie ist eine schwere Persönlichkeitsstörung. Abseits der oben genannten Eigenschaften verstehen es Psychopathen äußerst geschickt, zu manipulieren. Sie lügen pathologisch, zeigen durchaus emotionale Regungen, allerdings nur oberflächlich - tiefgehende Emotionen sind ihnen fremd. Die Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, wird abgelehnt, die eigene Wahrheit zurecht gezimmert, das eigene Fehlverhalten immer den anderen in die Schuhe geschoben, um sie dafür zu entwerten. Robert D. Hare, der Begründer der Psychopathieforschung formulierte es so: „Sie rauben keine Bank aus, sie werden Bankvorstand“. Unter diesem Aspekt sind die großen Spekulanten unserer Zeit in einem anderen Licht zu betrachten.
Ja, ein normaler Mensch hätte Skrupel, Millionen zu versenken, der Psychopath geht nach Hause und vergisst die Sache. Und mit all diesen Attributen sollten wir vielleicht auch einen Blick nach Amerika werfen und die „alternative facts“ des amtierenden Präsidenten doch ein wenig genauer hinterfragen ...
Montag, 12. Juni 2017 - 21:48 Uhr
"Über das Träumen"
Wie man die nächtlichen Botschaften entschlüsselt
Träumen hat nichts mit einem hellsichtigen Blick in die Zukunft zu tun - im Gegenteil – vielmehr bieten uns die nächtlichen Geschichten im Kopf einen Blick auf die Ist –Situation. Inhalte, die im Traum auftauchen, sind Botschaften aus dem Unbewussten - Wünsche, Gedanken, Gefühle etc., die meist verdrängt oder abgewehrt werden. Wenn wir aufwachen, ist das, was wir von unserem Traum noch wissen jedoch durch eine Art psychische Zensur gegangen - was bleibt, ist der manifeste Trauminhalt. Für die Traumanalyse interessant ist allerdings nur der latente Trauminhalt. Frau K. berichtete in ihrer Therapie von einem Traum, in dem sie von einem Felsvorsprung in die Tiefe blickte und sich fragte, ob sie es wagen solle, hinabzuspringen - dem manifesten Trauminhalt.
Die Traumanalyse ergab, dass sie sich in Wahrheit vor der Therapie ängstigte und sich nicht sicher war, ob sie wirklich alles „da unten“ – also im Unbewussten - entdecken wolle, das sie jahrelang verdrängt hatte. Dies ist der latente Trauminhalt. Was hier so einfach erscheint, ist allerdings oft mühevollste Kleinarbeit, denn der Traum versteht es nur allzu gut, seine Botschaften zu maskieren. Seine Mechanismen heißen Verdichtung und Verschiebung. Verdichtung meint, dass Elemente des latenten Trauminhaltes „zusammengelegt“ werden. So träumt Herr L. von einem Mann, der aussieht wie sein Onkel, aber die Kleidung seines Bruders trägt.
Bei der „Verschiebung“, dem zweiten Mechanismus, träumt Frau K. von ihrem gefürchteten Chef als einem Hasen im Käfig - ihre Angst verschiebt sie also auf etwas, das den wenigsten Angst machen würde - einem eingesperrten Hasen. Somit wird jeder Traum auch zum Versuch einer Wunscherfüllung. Also dann - träumen sie was Schönes!
Sonntag, 4. Juni 2017 - 22:15 Uhr
"Hallo Ödipus!"
„Mamabub und Papamädchen“ und was uns sonst noch davon blieb...
Irgendwo haben wir das Wort alle schon mal gehört: Ödipuskomplex. Ödipus, der Typ, der seinen Vater ermordete und seine Mutter ehelichte. Theoretische Grundlage für eines der bedeutsamsten Konzepte der Psychoanalyse. "Mein kleiner Sohn lehnt mich plötzlich ab", klagte ein Vater in der Therapie und fragte, sich was er falsch gemacht hätte. Nichts. Denn dieses kindliche Verhalten ist in dessen psychosexueller Entwicklung richtig und wichtig. Ungefähr zwischen dem vierten und sechsten Lebensjahr treten Mädchen wie Jungen in die sogenannte ödipale Phase ein. Hier beginnt sich alles um das eigene Geschlecht und die damit verbundenen Geschlechterrollen zu drehen. Mädchen wollen den Vater für sich gewinnen („Ich heirate mal meinen Papa)“.
Die logische Konsequenz daraus ist die Rivalität mit der Mutter. Knaben hingegen rivalisieren mit dem Vater um die Gunst der Mutter ("Er ist so ein Mamabub geworden!"). Eine Phase, die von Eltern schnell als kränkend oder irritierend erlebt werden kann. Doch Kinder brauchen dieses Messen am gleichgeschlechtlichen Erwachsenen und sie sollten liebevoll daran scheitern. Mama und Papa sollten zeigen, dass sie eine Einheit bilden. Erst dann gelingt es, sich später einmal einem Liebespartner außerhalb der Familie zuzuwenden und ihm erotische Gefühle zuteil werden zu lassen.
Was hier vielleicht seltsam klingt, ist im Alltag allgegenwärtig. Männer und Frauen, die in der ödipalen Phase "hängengeblieben" sind, werden weiterhin rivalisieren. So wollte Herr P. mit Vorliebe verheiratete Frauen erobern, Frau M. eiferte mit jeder weiblichen Person und Frau Z. wählte mit Vorliebe sogenannte „Sugardaddys" aus - eine Bezeichnung, die bereits verrät, wessen Liebe sie (unbewusst) tatsächlich sucht …
Montag, 29. Mai 2017 - 20:23 Uhr
"Eitle Liebe"
Wie und ob die Beziehung mit einem Narzissten klappt
Aufgrund vieler Leseranfragen, möchte ich mich nochmals dem Thema Narzissmus widmen. So schrieb eine Leserin: „Wie erkenne ich überhaupt, ob ich es mit einem Narzissten zu tun habe?“ Ja, sie sind charmant und charismatisch. Wenn sie um jemanden werben, ziehen sie alle Register. Das Gegenüber wird zur Idealvorstellung - doch nach jeder Idealisierung folgt unweigerlich die Entwertung. Der Narzisst erkennt alsbald, der Andere ist ein Mensch aus Fleisch und Blut und begeht vor allem einen Fehler: Ihn, den Narzissten, nicht für unfehlbar zu halten. "Ich habe nur gesagt, dass ihm das blaue Hemd nicht so gut steht und er hat darauf geantwortet: Sieh dich doch mal selbst an, du fettes Schwein!“ Ja, das aufgeblasene Größenselbst des Narzissten zu hinterfragen ist eine Todsünde, die mit Verachtung bestraft wird - denn unbewusst schlummert darunter die Minderwertigkeit.
Der Narzisst erkennt andere nicht als zu respektierende Mitmenschen an - er sieht sie viel eher als seinen "verlängerten Arm"- jeder um ihn herum hat eine Funktion, die auch dazu dient, seinen in Wahrheit brüchigen Selbstwert zu nähren. Sie gehen nur zu Top-Ärzten, sie haben oder hätten gerne Kontakt zu den Wichtigsten und sie haben - zumindest am Anfang - die beste aller Partnerinnen. Und die Schönste. Und die Intelligenteste. Und das macht es auch so schwer, sich zu lösen. Denn die Erinnerung an diese wunderbare Anfangszeit lässt viele daran festhalten. Können Beziehungen mit Narzissten funktionieren?
Ja, wenn Sie bereit sind, den Quell der Huldigungen nie versiegen zu lassen. Ändern können sie einen Narzissten als Partner nicht, zu früh sind die Traumatisierungen, die er in der Kindheit erleben musste. Also bleibt nur noch eines. Gar nicht erst anfangen.
Samstag, 20. Mai 2017 - 16:48 Uhr
"Das Unbewusste"
Sigmund Freuds „machtvolle“ Entdeckung
„Das hab ich verdrängt!“, ist eine geläufige Phrase in unserem Sprachgebrauch oder auch: „Unterbewusst hab ich das schon gespürt“. Worte, die Tradition haben - Wiener Tradition, denn sie stammen aus dem Theoriekonzepts Sigmund Freuds und der Psychoanalyse. Doch - was ist dieses Unterbewusstsein, das Freud das „Unbewusste“ nannte überhaupt?
Freud schuf ein Modell, wonach die Psyche sozusagen drei „Räume“ hat: Das Bewusste, das Vorbewusste und das Unbewusste. Am Beispiel des Autofahrens ist dies einfach erklärt: Wenn wir autofahren, nehmen wir bewusst eine rote Ampel wahr und bremsen. Das Vorbewusste ist alles, was momentan nicht direkt im Bewusstsein ist, aber prinzipiell dort abgerufen werden kann. Wenn wir beim Autofahren schalten, so geschieht das mehr oder weniger automatisch, wir müssen uns (hoffentlich) nicht jedes Mal bewusst abrufen, welchen Gang wir einlegen. Das Unbewusste ist da komplizierter, denn es lässt seine Inhalte nicht so einfach ins Bewusstsein vordringen und ist deshalb manchmal fatal, denn darin befinden sich verdrängte Wünsche, die unser Handeln beeinflussen. Wenn wir an der Kreuzung stehen und plötzlich den Idioten rechts von uns überholen wollen, so spricht das Unbewusste aus uns. Wir wollen schneller und besser als der andere Autofahrer sein! Der umgekehrte Weg ist die Verdrängung. Inhalte, die der Psyche unangenehm sind, peinlich oder verboten, werden schnell ins Unbewusste verschoben und festgehalten - doch sie sind nicht verschwunden und können Probleme in Form von Symptomen machen.
„Wo ein Wille, da ein Weg“ ist also leider ein Irrglaube, denn wie schon C.G. Jung sagte, „ ist der Mensch „bei aller Vernünftigkeit und Tüchtigkeit von Mächten besessen, über die er keine Kontrolle hat“.
Montag, 15. Mai 2017 - 23:48 Uhr
"Die Psychosoziale Entwicklung ihres Babys"
Das erste Lebensjahr
Der Nachwuchs ist da – endlich! Doch damit leider auch die Ängste. „Ich hab das Gefühl, ich mache alles falsch, gebe ich meinem Baby was es wirklich braucht?“, meinte eine besorgte Mama unlängst.
Vorab einmal zur Beruhigung. Wir müssen als Mamas und Papas nicht perfekt sein. Donald Winnicott, ein englischer Kinderarzt und Psychoanalytiker, sprach von der „good enough mother“- also der ausreichend guten Mutter. Es geht also nicht darum, alles immer perfekt zu machen- für eine gesunde Entwicklung reicht es, die Bedürfnisse des Babys zum größten Teil zu befriedigen. Wie die Beziehungen des Säuglings allerdings zu seiner Umwelt sind, so ist auch seine psychische Entwicklung. Leider finden demnach viele psychische Störungen finden ihren Ursprung in diesen jungen Jahren.
Im 1.Lebenjahr ist das Baby mehr denn je auf seine Bezugsperson angewiesen. Gewährt ihm diese Nähe, Geborgenheit, Nahrung und Kontinuität, dann entwickelt es die Gewissheit, die Umwelt ist verlässlich- das sogenannte Urvertrauen stellt sich ein. Bekommt das Baby diese Bedürfnisse nicht erfüllt, verinnerlicht es das Gefühl, seiner Umwelt hilflos ausgeliefert zu sein- das Kleinkind fühlt Ängste des „Allein“- oder „Leer“- gelassen Seins. Die Balance schlägt in Misstrauen und Zurückgezogenheit um, Erfahrungen, die einen ein Leben lang begleiten werden. In der Therapie finden wir diese Gefühle z.B. bei depressiven Patienten wieder.
Wenn diese erste Entwicklungsstufe allerdings gut gemeistert ist, ist bereits der psychische Grundstein für den Optimismus gelegt - im späteren Leben ist das jene Fähigkeit, die über Enttäuschungen und „schwere“ Zeiten hinweg hilft, die einen durchhalten lässt, auch wenn mal nicht alles so rosig aussieht.
Montag, 1. Mai 2017 - 19:12 Uhr
"Gespaltener Geist"
Mythos Schizophrenie
Schizophrenie. Eine Krankheit, die in jedem ähnliche Bilder hervorruft - Bilder von geisteskranken Verbrechern, die verfolgen, jemandem auflauern, Gewalttaten begehen. Schizophrenie ist für viele der Inbegriff von Verrücktsein - von Menschen, die zwei Gesichter haben. Fällt die „Maske“, werden sie gemeingefährlich.
Diese Annahme ist allerdings schlichtweg falsch. Bei Schizophrenie handelt es sich nicht um „gespaltene Persönlichkeiten“. Diese Verwechslung entstand durch die irreführende Übersetzung des Begriffes aus dem Griechischen, die „gespaltener Geist“ bedeutet. Diese Spaltung, oder viel eher das „Zerbrechen“ bezieht sich auf den Zusammenbruch kognitiver und emotionaler Prozesse. Denken und Wahrnehmung sind schwer beeinträchtig, zeitweise können die Betroffenen die Realität nicht mehr von den eigenen Wahnvorstellungen unterschieden. An Schizophrenie erkrankte haben also nicht zwei verschiedene Persönlichkeiten wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde- hier würde man nämlich von der sogenannten Multiplen Persönlichkeitsstörung sprechen. Diese hartnäckig falsche Annahme bedingt zu Unrecht eine drastische Ausgrenzung der Erkrankten. Denn die vermeintliche erhöhte Gewalttätigkeit und Gefährlichkeit gegenüber anderen Menschen ist schlichtweg ein Mythos. Gewaltimpulse richten sich nämlich in erster Linie gegen die eigene Person- so ist das Selbstmordrisiko bei Schizophrenie -Erkrankten drastisch erhöht.
Auch ist die Krankheit nicht unheilbar – eine regelmäßige Einnahme der Medikamente ist allerdings unabdingbar. Dann können Schizophrene sogar ein weitgehend „normales“ Leben führen- soweit es Ihnen die Gesellschaft zubilligt ...
Montag, 17. April 2017 - 15:01 Uhr
"Traumgeburt oder Trauma Geburt"
Natürliche Geburt oder Kaiserschnitt?
Frau F überlegte, ihr Kind per Kaiserschnitt zu Welt zu bringen- sofort fragten kritische Stimmen: „Wozu denn das- ohne wirklichen Grund?“ „Dein Kind wird viel krankheitsanfälliger sein“, warnte eine Arbeitskollegin. „Das sind kleine Schwächlinge“, erklärte ihr Bruder. „Es gibt Studien, die ein erhöhtes Risiko für Allergien und Diabetes bei Kaiserschnittkindern voraussagen. Einer härteren Überprüfung hält dies wahrscheinlich so nicht stand“, so Gynäkologe Dr. Elmar Joura dazu. „Aber das Bonding wird darunter leiden“ meinte Frau F’s Hebamme. „Du wirst das Gefühl haben, man hat dir dein Kind einfach weggenommen“, orakelte eine Freundin. „Dein Kind wird nie lernen sich im Leben durchzusetzen“ prophezeite die Nachbarin. Frau F fühlte sich zunehmend schlechter, am Ende sogar als Versagerin. War sie die einzige, die Angst vor Komplikationen und stundenlangen Wehen hatte? Würde der Kaiserschnitt tatsächlich die Mutter-Kind Beziehung beeinträchtigen?
Sieben Jahre später. Sohn Sebastian ist ziemlich aufgeweckt, wissbegierig und aufgeschlossen. Frau F spricht heute noch vom schönsten Moment ihres Lebens, der Geburt per Kaiserschnitt. „Es ist vielmehr die bewusste und freiwillige Entscheidung für die eine oder andere Methode, die Mütter die Geburt ihres Kindes als positiv erleben lässt“ so Dr. Joura. Und es ist die Atmosphäre der Liebe, in der Sebastian aufwachsen darf, sein Urvertrauen in die Welt, das Frau F und ihr Mann seit dem ersten Atemzug stärken, seine ersten Autonomiebestrebungen, die nicht unterbunden, sondern gefördert und seine Bedürfnisse, die verstanden und respektiert werden. Und es war Sebastians Start ins Leben- für Frau F eine Traumgeburt anstatt das „Trauma Geburt“.
Montag, 10. April 2017 - 19:05 Uhr
"Ausgebrannt- Burnout Syndrom"
Wie sie die Anzeichen erkennen
Burnout. Frau M bekam 6 Wochen Bettruhe von ihrem Arzt verordnet. Die Kolleginnen im Büro waren sich anerkennend einig- Frau M hat einfach zu viel gearbeitet, sich für die Firma aufgeopfert.
Burnout Syndrom ist eine sozial akzeptable Diagnose: Hier sehen sie einen fleißigen, arbeitswilligen Menschen, der Alles für den Beruf und die Familie gibt. Der für seine Aufgaben lebt. Nicht wie Frau K., die wegen ihrer Depressionen zum Alkohol griff.
Das Burnout Syndrom spiegelt unsere Gesellschaft wider- wer leistet, wird akzeptiert. Doch wie erkenne ich, ob ich mich bereits mitten drin oder am Anfang eines Burnout Syndroms befinde? Der Psychoanalytiker Herbert Freudenberger beschrieb ein 12-Phasen Modell- beginnend mit dem übermäßigen Wunschs sich zu behaupten und anderen etwas zu beweisen. In weiterer Folge werden die eigenen Bedürfnisse verleugnet, Prioritäten verändern sich.- die früheren Werte wie Hobbys und Freunde zählen nicht mehr. Das Verhalten der Betroffenen ändert sich, sie werden antriebs- und motivationslos. „Ich will nur noch funktionieren“- meinte unlängst ein Patient. Es folgt eine innere Leere, schließlich Hoffnungslosigkeit und Depression. Dann der Zusammenbruch. Burnout ist allerdings längst nicht nur auf den Arbeitsplatz bezogen, sondern auch auf innerfamiliäre Strukturen. Angehörige von Pflegefällen sind nur eines von unzähligen Beispielen.
Hinter all dem verbirgt sich allerdings immer die Frage: warum mute ich mir so viel zu- um gelobt, respektiert und gemocht zu werden? Wenn ja, dann wird es Zeit professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, damit Sie nicht der Risikogruppe einer Million Österreicher angehören. Burnout ist vielleicht sozial akzeptabel, doch krank ist man trotzdem.
Montag, 27. März 2017 - 22:56 Uhr
"Krankhafte Selbstliebe"
Wie Sie Narzissten entlarven
„Das ist doch ein verdammter Narzisst!“, hörte ich unlängst zwei echauffierte Angestellte über ihren Chef sagen. Narzissmus- ein Wort das Einzug in unseren Sprachschatz gehalten hat- früher beschimpfte man sich als „hysterisch“ (vor allem die Frauen), heute heißt es „Narzisstenschwein“. Unsere Gesellschaft ist narzisstischer geworden, ohne Frage. Gerichtspsychiater Reinhard Haller berichtete in einem Vortrag von einer Studie über die Werte der Jugend. Fand man früher Ideale wie Familie und Gesundheit an der Spitze, so ist es heute die „Selbstverwirklichung“. Narzisstische Verbrechen nehmen zu, man denke an große Korruptionsskandale oder auch die sich häufenden Familientragödie. Lange steckte der Vater zurück, ließ Kränkungen über sich ergehen und fasste innerlich den Vorsatz, eines Tages als Sieger dazustehen. Dann bringt er Frau und Kinder um.
Doch wie erkennt man Narzissten? Haller beschreibt in seinem Buch „Die Narzissmusfalle“ vier große „E“s: Egozentrizität, Empfindlichkeit, Empathiemangel und Entwertung. Das Weltbild des Narzissten dreht sich nur um ihn, gibt es einen Störfaktor, wie z.B. Kritik an seiner Person, so ist er gekränkt und nicht verbesserungswillig. Sich in die emotionale Situation des anderen einzufühlen ist ein Fremdwort für ihn, fühlt er sich angegriffen, ist seine Waffe die Entwertung des anderen. Vielleicht fällt es vielen jetzt wie Schuppen von den Augen, wenn sie an ihren Chef, Arbeitskollegen oder Partner denken. Wie geht man am besten mit einem Narzissten um? Zweifelsohne- sie haben eine bestimmte Aura der Grandiosität aus der es sich zu lösen gilt, doch der nachhaltigste Weg ist jener: Füße in die Hände nehmen und weglaufen, so weit es geht.
Montag, 20. März 2107 - 19:43 Uhr
"Wenn Emotionen außer Kontrolle geraten"
Diagnose Borderline
Maria K rastete völlig aus. Ihr Mann vergaß die Butter vom Supermarkt mitzunehmen. Martina B musste wieder einmal auf die Ambulanz. Die Schnitte am Unterarm hörten nicht auf zu bluten. Beide Frauen bekamen die Diagnose Borderline. Eine Diagnose, von der die meisten heutzutage schon gehört haben. Angehörige und Partnern fühlen sich oft hilflos ausgeliefert- wissen nicht mehr wie sie sich verhalten sollen. Gekennzeichnet ist dieses Störungsbild überwiegend von Angst vor dem Verlassen werden, Stimmungsschwankungen, instabilen Beziehungen, einer mangelnden Kontrolle von Wut, Impulsivität, einer unklaren eigenen Identität- der sogenannten Identitätsdiffusion-, einem chronischen Gefühl der Leere und selbstschädigendem Verhalten. Doch wie erkrankt man an einer Borderline- Persönlichkeitsstörung? Aus zahlreichen Untersuchungen wissen wir, dass die Betroffenen eine traumatische Kindheit hatten. Sie wurde verbal und emotional misshandelt, vernachlässigt und runtergemacht.
Fast 70 Prozent aller Patienten wurden sexuell missbraucht, bis zu 50 Prozent waren körperlicher Gewalt ausgesetzt- der Großteil geschah innerhalb der eigenen Familie. Wie zerstörend dies für die Seele sein kann, wenn die Quelle der Liebe gleichzeitig die der Bedrohung ist, muss nicht erklärt werden. Der überwiegende Anteil – also ca. 70 Prozent – aller Betroffenen sind übrigens Frauen. Dieser Prozentsatz entsteht vermutlich auch, weil Frauen Hilfe auf psychischer Ebene stärker annehmen. Männer findet man eher im forensischen Bereich wieder. Ein Leben mit Borderline?
Die Störung zu behandeln, erfordert gut geschulte Therapeuten- dann ist allerdings ein annähernd „normales“ Leben wieder möglich- für Patient, Partner und Freunde.
Sonntag, 12. März 2017 - 22:46 Uhr
"Shoppen, Sex und Sport"
Wenn Alltägliches zur Sucht wird
Vanessa kauft ständig Klamotten. Ihr Konto ist immer in den roten Zahlen, doch wenn sie nicht auf „Schnäppchenjagd“ geht, wird sie nervös. Rudolf spielt leidenschaftlich gerne Computerspiele - so, dass er mittlerweile teilweise nur 2 Stunden Schlaf bekommt. In der Arbeit ist er unkonzentriert, sein Chef droht mit Kündigung. Trotzdem - Nacht für Nacht hängt Rudolf vorm Bildschirm.
Sind Vanessa und Rudolf kauf-oder spielsüchtig? Ja, denn beide erfüllen die Kriterien einer Abhängigkeit: Bei beiden besteht ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, das „Suchtmittel“ zu konsumieren, ein körperliches Entzugssyndrom (beide sind irgendwie nervös) liegt ebenso vor. Wie sieht es aus mit der fortschreitenden Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Suchtmittels? Rudolf fällt es schwer, nebenher noch Bekannte zu treffen, seine Freundin hat ebenso Schluss gemacht. Vor die Alternative gestellt, was Rudolf denn wichtiger sei, konnte er keine Antwort geben. Und Vanessa? Von Freundinnen, die sie kritisieren, hat sie sich längst abgewandt. Ihr Exfreund war es ebenso leid, sein gesamtes Wochenende im Kaufhaus oder Onlineshop zu verbringen. Rudolf und Vanessa konsumieren also weiter, obwohl es für beide einen eindeutigen Nachweis schädlicher Folgen gibt - sei es sozialer oder finanzieller Art - ein weiteres Suchtkriterium. Genauso wie die verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums, sowie der Nachweis einer Toleranz: anfangs spielte Rudolf nur 3 bis 4 Stunden. Jetzt bis zu 10. Vanessa war früher nur ab und zu auf Beutezug, mittlerweile mehrmals wöchentlich, am besten täglich. Die Kauf- und Spielsucht sind als psychiatrische Diagnosen längst bekannt, doch geht es noch weit darüber hinaus, denn jedes Verhalten – ob Sex, Essen oder Sport - kann sich zur Sucht entwickeln.
Montag, 6. März 2017 - 23:05 Uhr
"Alptraum Zwangsstörung"
Wenn man muss, nicht will...
Herbert muss sich ständig die Hände waschen. Hannah kann ohne Zählen keine Treppe mehr steigen. Paul hat immer wieder die quälende Vorstellung, die Menschen in der U-Bahn könnten plötzlich tot umfallen.
Jeder kennt den Filmklassiker „Besser geht’s nicht“ mit Jack Nicholson, in dem er einen schrulligen Typen mimt, der nicht auf die Fugen der Gehwege treten kann.
Was im Film amüsant wirkt, ist im wahren Leben für Betroffene ein Alptraum: Zwangsstörungen. Zwangsgedanken, Impulse und Handlungen halten einen gefangen, immer und immer wieder muss man sie stereotyp ausführen.
Zwangsstörungen werden zu den neurotischen Störungen gezählt. Aus tiefenpsychologischer Sicht befindet sich der Betroffene in einem unbewussten Konflikt zwischen Gehorsam und Auflehnung. Meist findet man in der Biographie dieser Patienten Mütter, die erste Selbständigkeitsbestrebungen ihres Kindes mit unangemessener Strenge und Disziplin, oder auch Liebesentzug unterbinden wollten. Dagegen hat man sich als Kind natürlich aufgelehnt, gleichzeitig dafür Schuldgefühle, Angst und Aggressionen entwickelt. Das spätere Symptom hat also die Funktion genau diese Gefühle abzuwehren. Im Symptom selbst zeigt sich oftmals der verdrängte Gedanke: so hat Paul mittels seiner Zwangsvorstellungen einen psychischen Kompromiss gefunden, den unbewussten aggressiven Befreiungswunsch von seiner Mutter (der seinen Ursprung in der Kindheit fand) in eine akzeptablere Form umzuwandeln, nämlich der Vorstellung Fremde in der U-Bahn könnten tot umfallen. Innerhalb einer Therapie gilt es also, die Betroffenen an ein selbstbestimmtes Leben heranzuführen. Ein Leben, das es ermöglicht, die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, ohne Angst vor sozialer Missachtung.
Montag, 27. Februar 2017 - 22:21 Uhr
"Warum wir uns manchmal so fühlen, wie andere es wollen"
Beate hat endlich beschlossen, ihren Job zu kündigen, aber seltsamerweise sind alle Ihre Freunde diesbezüglich verunsichert und raten ihr, es sich vielleicht doch noch einmal zu überlegen.
Wir alle kennen es, dass jemand heftige Gefühle in uns auslöst, die in diesem Moment so irgendwie gar nicht zu uns gehören. Und dennoch- aus heiterem Himmel sind wir wütend, hilflos, traurig oder auch stark. Woher kommt das? Das Zauberwort heißt: Projektive Identifizierung. Sie ist ein Abwehrmechanismus der Psyche.
Gefühle oder Gedanken-also Anteile von uns selbst- werden abgespalten und in jemand anderem „geparkt“. Dieser andere nimmt unsere Anteile dann wahr und verhält sich danach, das heißt, wenn wir uns mit beispielsweise mit der Wut des anderen projektiv identifizieren, dann fühlen wir uns plötzlich wütend, ohne zu wissen warum. Es handelt sich also um eine unbewusste Art der „Manipulation“.
Projektive Identifizierung ist ein wichtiger Mechanismus in der Entwicklung eines Kindes – sie ist eine Art der Kommunikation und Grundlage dessen, was wir Empathie nennen. Man weiß sozusagen, wie es sich in der Haut des anderen anfühlt. Natürlich hat sie auch ihre pathologische Seite. In der Therapie wird die Projektive Identifizierung genützt, um als Therapeut die Gefühle, die der Patient selber nicht erkennt, mitzuteilen und auch ein Stück weit für ihn zu „verdauen“. Dadurch lernt der Patient sich besser kennen und auch die eigenen negativen Anteile be- und auszuhalten.
Im Fall von Beate sind es nämlich ihre eigenen Zweifel über die Kündigung und diese lagerte sie in ihrem Freundeskreis aus. So kam es, dass nicht sie, sondern ihre Freunde ihren Entschluss in Frage stellten. Na, vielleicht kennen Sie das ja auch!
Montag, 20. Februar 2017 - 18:33 Uhr
"Vom Wiederholungszwang"
Und täglich grüßt das Murmeltier....
Schon wieder hat Frau M. einen Freund, der sie schlägt. Und Herr Z. lässt sich von seiner Frau vor allen Leuten runtermachen, seine Ex hat das auch getan.
Herr K. hat endlich einen neuen Arbeitsplatz, der ihn glücklich macht. Leider nur zwei Monate, dann wird der Konflikt mit dem Chef wie bei jedem bisherigen Job unerträglich. Und Frau B. fragt sich, wieso sie sich immer in Männer verliebt, die verheiratet sind.
Was ist es, das uns immer wieder in ähnliche Beziehungen stürzen lässt oder anders gesagt: dieselben Beziehungsmuster immer und immer wieder wiederholen lässt?
Und warum halten wir ausgerechnet an jenen Beziehungsmustern fest, die am leidvollsten erscheinen? Es ist der Wiederholungszwang.
Erstmals wurde Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, auf den sogenannten „Wiederholungszwang“ aufmerksam. Während der Therapie schienen die Patienten ihre unbewussten Konflikte nicht nur zu erinnern, sondern gleichsam in der Beziehung zum Therapeuten zu wiederholen. Frau M. warf ihrem Therapeuten beispielsweise vor, dass er aggressiv wäre. Herr M. hatte das Gefühl, seine Therapeutin fände alles, was er sagt lächerlich. Herr K. beschwerte sich, dass seine Therapeutin so streng sei und Frau B. meinte, ihr Therapeut wolle sie verführen.
Vereinfacht gesprochen heißt das: Was wir in früher Kindheit an traumatischen Beziehungserfahrungen machen musste, vers uchen wir in den gegenwärtigen Beziehungen immer und immer wieder zu wiederholen, man spricht von „reinszenieren“. Irgendwie hoffen wir dabei ständig aufs Neue, es fände sich diesmal ein besserer Ausgang als damals. Leider ist uns dieses „Leben im Hamsterrad“ nicht bewusst - ohne therapeutische Hilfe können wir meist nicht erkennen, was wir da tun.
„Ich glaube, sie erinnern mich an meine Mutter. Sie hat mir permanent das Gefühl gegeben, dass ich ihr nicht gut genug bin. Sie hat mich immer ausgelacht...“ meinte Herr Z. in einer Therapiestunde.
Ein erster Schritt, um das Murmeltier nicht mehr täglich grüßen zu lassen ...
Montag, 13. Februar 2017 - 17:19 Uhr
"Die Notbremse der Psyche"
Kürzlich führte ich ein Interview mit Natascha Kampusch. Man muss nicht erklären, welch Martyrium diese junge Frau durchlebte. Vor und nach ihrer Gefangenschaft. Ja genau, auch danach, denn Unzählige verurteilten sie. Es schien unbegreiflich, dass sie den Täter nicht vollends zu verachten schien, dass sie, so wie sie selbst sagt, sogar Schuldgefühle hatte, als er sich das Leben nahm.
Beinahe jeder weiß auch von jenem Banküberfall 1973 in Stockholm. 131 Stunden dauerte es, bis die Geiselnahme zu Ende war. Einige der Geiseln besuchten die Täter anschließend sogar im Gefängnis. Das Stockholm- Syndrom ist seither geläufig – es beschreibt das Phänomen, dass Menschen, die Opfer von Gewalt wurden dennoch Sympathien, ja sogar Verständnis für die Täter entwickeln. Doch wie ist das möglich?
Es ist ein Abwehrmechanismus der Psyche, deren es zahlreiche gibt. Der bekannteste ist wohl die Verdrängung. Abwehrmechanismen haben den Sinn, Wünsche, Motive oder Triebe, die untereinander in Konflikt stehen, unbewusst so zu lösen, dass das Ergebnis für das Bewusstsein erträglicher ist. So ist die „Identifikation mit dem Aggressor“ jener Abwehrmechanismus, der die Opfer mit den Tätern sympathisieren lässt. In derart traumatischen Situationen identifiziert sich das Opfer mit Persönlichkeitseigenschaften, Werten oder Verhaltensweisen des Aggressors, also des Angreifers. Dies geschieht nicht willentlich, sondern unbewusst. Es ist sozusagen der letzte Ausweg der Psyche, mit überwältigenden Ängsten fertig zu werden. Wer also diese Opfer verurteilt, sie für verrückt, ja sogar für „pervers“ erklärt, der hat nicht verstanden, wie groß das Leid tatsächlich war, so groß, dass die Psyche die Notbremse ziehen musste.
Montag, 6. Februar 2107 - 23:59 Uhr
"Suizid"
Warum wir genau hinsehen müssen...
Familie N. ist im Schockzustand. Der Bruder von Frau N. hat sich völlig unerwartet das Leben genommen - erhängt am Dachboden. Er fiel in ein tiefes Loch nach der Scheidung. Aber das war bereits vor einem Jahr. Ja, er hat oft davon gesprochen, sich das Leben zu nehmen. Doch gerade in letzter Zeit war er viel ruhiger, wirkte gelöst, sprach nicht mehr über das leidige Thema...und dann das...
Wie kommt es, dass Familie N. nichts von seinem Vorhaben mitbekam?
2014 starben in Österreich 1.313 Personen an einem Suizid - die Zahl der Suizidtoten ist rund dreimal so hoch wie die der Verkehrstoten, Suizidversuche übertreffen diesen Wert laut internationaler Studien um das 10- bis 30-fache.
Daraus kann man schließen, dass eine Suizidgefährdung nicht immer sofort zu erkennen ist. Doch es gibt Warnsignale:
- Der Suizid wird konkret verbal angesprochen („Das Leben hat keinen Sinn mehr“...)
- Der Betroffene begibt sich zunehmend in den Rückzug.
- Zunehmende Einengung: Es besteht kein Interesse mehr an nichts. Zwischenmenschliche Kontakte werden heruntergefahren, die Gefühls- und Wertewelt des Betroffenen nimmt ab, Depression, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung sind die vorherrschenden Gedanken
- Unerwartet Ruhe beim Betroffenen nach dessen Suizidäußerungen
Doch wie kann man rechtzeitig eingreifen?
Aufmerksamkeit ist gefragt, damit die Warnsignale nicht übersehen werden, vor allem die vermeintliche Entspannung der psychischen Situation des Betroffenen. Diese tritt oft ein, wenn bereits eine Entscheidung getroffen wurde - die Ruhe vor dem Sturm sozusagen. Sprechen Sie die Person konkret auf ein etwaiges Vorhaben an und scheuen Sie sich nicht, die Dinge beim Namen zu nennen! So sehr wir dieses Thema auch verleugnen wollen, genau hinsehen kann Leben retten ...
Montag, 30. Jänner 2017 - 22:11Uhr
"Alkoholsucht"
(K)ein Gläschen in Ehren...
„Ich glaube, mein Mann hat ein Alkoholproblem“ meinte Frau H. in einem ersten Telefonat. Herr H. trinkt jeden Abend vier bis fünf Gläschen guten Rotwein, soll ja gesund sein, meint er und hebt die Laune.
Auch Frau K. feiert gerne. So richtig betrunken ist sie selten, vielleicht einmal alle drei Wochen, dann aber bis zum Blackout - gehört ja zum Studentenleben und lässt den Stress verschwinden. Frau B. tut alles, damit ihre Familie nicht bemerkt, dass sie heimlich eine Flasche Wodka konsumiert.
Was haben diese Menschen gemeinsam? Sie alle haben ein Alkoholproblem. Denn Alkoholsucht hat viele Gesichter - nicht nur das, des torkelnden Schnapstrinkers mit der roten Nase. Sobald der Alkoholkonsum eine Funktion übernimmt, wie etwa die des Stressabbaus oder der Stimmungsaufhellung, ist er nicht mehr unbedenklich, sondern bereits missbräuchlich. Von Abhängigkeit spricht man dann, wenn man so wie Frau B. die Kontrolle über den Konsum verloren hat - man muss einfach trinken, sonst setzen die Entzugserscheinungen wie Zittern oder Schwitzen ein. Auch die Menge, die getrunken wird, steigert sich stetig, der Versuch zu reduzieren oder gar aufzuhören, bleibt erfolglos. 340.000 gelten hier zu Lande als alkoholabhängig und beinahe jeder 4. Erwachsene trinkt in einem Ausmaß, das als gesundheitsgefährdend gilt.
Noch erschreckender zeigt sich die Statistik im Bezug auf die Lebenserwartung Alkoholabhängiger: Frauen leben durchschnittlich um 20, Männer um 17 Jahre kürzer.
Herr H. hatte Glück, denn dank seiner Frau konnte er erkennen, dass er es ohne die täglichen „gesunden“ Gläschen Rotwein gar nicht mehr aushielt. Ein ambulanter Entzug fiel ihm nicht leicht, doch er half.
„In vino veritas“ lautet ein Spruch - im Wein liegt die Wahrheit - doch manchmal leider auch eine Selbstlüge.
Montag, 23. Jänner 2017 - 20:14 Uhr
"Sei nicht so hysterisch!"
Was ist Hysterie und warum sie nicht nur Frauen betrifft
„Hysterische Kuh!“ oder „Die Frauen sind doch alle hysterisch“! Mal Hand aufs Herz liebe männliche Leser. Wer von Ihnen hat sich das noch nie gedacht? Oder liebe weibliche Leser: wer hat das noch nie gehört? Hysterie hat längst den Einzug in unseren Schimpfwortfundus gefunden- doch was ist Hysterie genau? Noch in der Antike war man der Überzeugung, dass die Ursache dieser „frauenspezifischen“ Krankheit in der im Körper umher wandernden Gebärmutter zu finden sei. Gut, davon ist man glücklicherweise abgekommen. Sigmund Freud war es schlussendlich, der den Hysterikerinnen zum Durchbruch verhalf. Er war begeistert von den Demonstrationen des berühmten Arztes Charcot in Paris, der seinem staunenden Publikum demonstrierte, wie Patientinnen unter Hypnose ihre gelähmten Körperregionen wieder bewegen konnten. Wie konnte das sein? Freud widmete sich intensiv den „Studien über die Hysterie“- den sogenannten Konversionsneurosen. Konversion bedeutet, dass ein seelischer Inhalt, der verdrängt werden muss, im Körper symbolhaft seinen Ausdruck findet.
Mittlerweile ist die Hysterie längst aus dem psychiatrischen Wortschatz verschwunden. Die Symptome, die sich in übertriebener Emotionalität, Ich-Bezogenheit und dem Bedürfnis nach Aufmerksamkeit zeigen, werden heutzutage den histrionischen Störungen zugeschrieben. Auch der dissoziativen Störung, deren Ursache zumeist in einem verdrängten Trauma liegt, ist die damalige Hysterie zuzuordnen. Die Dissoziation, also die Abspaltung des Traumes aus der bewussten Wahrnehmung hilft, das Leben weiterhin meistern zu können. Fest steht in jedem Falle, dass „Hysterie“ nicht alleine Frauensache ist - im Gegenteil. Auch Männer neigen zu hysterischem Verhalten - man denke nur an Molieres berühmte Komödie „Der eingebildete Kranke“...
Montag, 16/. Jänner 2017 - 22:09 Uhr
"Angst im Gepäck"
Flugangst, Panik & Co - die Ursachen der Angststörung
Herr K konnte stets unbeschwert ins Flugzeug steigen. Plötzlich, von einem Tag auf den anderen erfasste ihn die Panik. Atemnot, Herzrasen, das Gefühl, verrückt zu werden und keinen Ausweg mehr zu finden. Frau S erlebte Ähnliches auf der Autobahn. Und Frau F braucht gar nicht erst weit zu reisen, sie bekommt schon Angstanfälle, wenn sie das vertraute Umfeld ihrer Wohnanlage verlässt.
„Wie viel Angst ist normal?“, fragte unlängst ein Patient.
Die klassische Psychoanalyse unterscheidet zwischen Angstneurosen und Phobien. Bei der Phobie gelingt es meist, die innere Angst auf irgendetwas scheinbar Bedrohliches im Außen "zu richten“. Dieses äußere Objekt - wie zum Beispiel eine Spinne - wird dann ganz einfach vermieden. Bei der Angstneurose gelingt dies nicht mehr - die Angst ist "frei" und ständig erlebbar, sie „generalisiert“ sich - Angst kann überall und in jeder Situation auftreten (z.B. Flugangst).
Aber woher kommt sie? Die moderne Psychoanalyse legt ihr Augenmerk auf die früheren Sicherheit spendenden Beziehungserfahrungen. Dadurch entwickelt sich im Kind eine "innere Sicherheit", ein Selbstvertrauen - es kann dann in Gefahrensituationen auf diese verinnerlichten guten Erfahrungen zurückgreifen. Patienten mit Angststörungen haben diese nicht. Ihre Eltern fanden keine optimale Balance zwischen Autonomie und Beziehung, sie waren entweder allzu behütend, selbst unsicher oder vernachlässigend und agierten in für das Kind unsicheren Situationen beschämend. In jedem Falle handelt es sich bei der Angststörung um Erfahrungen aus der Kindheit, die verdrängt, aber in späteren Situationen bei Gelegenheit plötzlich wieder aktualisiert werden.
Montag, 9. Jänner 2017 - 12:14 Uhr
"Abschied nehmen"
Die Phasen der Trauer
Der Tod eines geliebten Menschen ist immer unbegreiflich - man ist im Schock. Oft scheint die Psyche seltsam zu reagieren. Als der Ehemann von Frau Z. plötzlich aus dem Leben schied, traf sie die Nachricht nicht wie ein Schlag - im Gegenteil. Sie nahm die Information der Ärzte war, nickte und traf sich mit ihrer Freundin auf einen Kaffee, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Herr F. überzog noch wochenlang die Bettseite seiner verstorbenen Gattin: „Sonst schimpft sie wieder!“ In dieser ersten Phase der Trauer will es unsere Psyche nicht wahrhaben. Manchmal sind es nur Minuten, manchmal auch Monate, in denen wir die schreckliche Realität verleugnen. Die Empfindungen werden abgetrennt, wir spüren kaum Emotionen, glauben an einen Irrtum oder ignorieren die Nachricht. In der zweiten Phase bricht all das über einen herein, was zunächst nicht zugelassen wurde. Doch es ist nicht immer nur Schmerz, sondern es sind auch Gefühle wie Wut oder Erleichterung. Darf man denn so fühlen? Ja, man darf.
Wut ist eine natürliche Reaktion: „Wie konnte er mir das antun, dafür werde ich ihn ewig hassen!“, fluchte Frau B. „Ich trau es mich gar nicht zu sagen, aber zum Glück ist es vorbei.“ meinte Frau M. Diese Emotionen sind Teil des Trauerprozesses - sie sollen und dürfen angesprochen und erlebt werden. In der dritten Phase beginnen wir langsam loszulassen, noch befindet man sich in einer Art Traumwelt. Die Kleider des Verstorbenen sind noch an ihrem Platz, die letzte Kaffeetasse ungewaschen. Viele bleiben in dieser Phase gefangen, hier gilt es den Betroffenen behutsam an die Realität heranzuführen. Erst nach den ersten drei Phasen tritt so etwas wie Akzeptanz ein - die vierte Phase. Erst jetzt wird ein Neuanfang möglich.